Dass das Wohlbefinden des Menschen, sein Leben und Handeln von zahlreichen Faktoren bestimmt werden, ist heute wohlbekannt. Doch schon vor vielen Hundert Jahren, als Medizin und Forschung noch in den Kinderschuhen steckten, gab es Menschen mit dem Blick für das Wesentliche. Zweifellos zu ihnen zählte auch Hildegard von Bingen.
Die Benediktinerin lebte zwischen 1089 und 1179 und befasste sich während ihres Daseins mit drei wesentlichen Faktoren der Lebensführung. Für sie zählten der Leib, die Sinne und auch die Seele. Auf Basis dieser Überzeugung entwickelte Hildegard von Bingen zahlreiche Schriften zu Religion, Medizin, Naturwissenschaft und Kosmologie. Noch heute orientieren sich zahlreiche Menschen an ihren Erkenntnissen, um mehr Wohlgefühl und Gesundheit zu erreichen.
Das Leben der Hildegard von Bingen
Geboren wurde sie im Jahre 1098 entweder in Bermersheim vor der Höhe oder in Niederhosenbach. Aufgrund fehlender Belege ist das genaue Geburtsdatum bis heute unbekannt. Als sie acht Jahre alt war, gaben Hildegards Eltern sie in ein Kloster, wo sie religiös unterrichtet und erzogen wurde. Mit etwa 14 Jahren intensivierte sich das religiöse Leben, als Hildegard als Inkluse im Kloster Disibodenberg eingeschlossen wurde.
Schon früh bemerke die junge Hildegard, dass sie Visionen hatte. Als diese, wie aus ihren Schriften hervorgeht, im Jahr 1141 immer kraftvoller wurden, suchte Hildegard nach Unterstützung. Gemeinsam mit Richardis von Stade und Volmar von Disibodenberg begann sie noch im selben Jahr damit, ihre Visionen zu Papier zu bringen. Zu dieser Zeit verfasste Hildegard von Bingen unter anderem ihr wohl bekanntestes Werk „Liber Scivias Domini“, dessen Original bis heute als verschollen gilt. 1147 erteilte Papst Eugen III. Hildegard die Erlaubnis, ihre Schriften der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es folgten Schriften wie
- „Liber Vitae meritorum“
- „Liber divinorum operum“
- „Physica“
- und „Casea et Curae“.
In den folgenden Jahren entschied sich sie sich zur Gründung des Klosters Rupertsberg. Schon damals war sie nicht nur bekannt, sondern auch äußerst beliebt. Während ihres Lebens predigte sie an vielen Orten und in zahlreichen Klöstern und wurde von vielen hochrangigen Personen als Beraterin eingesetzt.
Erst im Jahr 2012 wurde Hildegard von Bingen durch Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben und heilig gesprochen. Der 17. September gilt sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche als Tag des Gedenkens an Hildegard von Bingen. Wer den Reliquien dieser besonderen Persönlichkeit nahe sein will, kann dies in der Eibinger Pfarrkirche tun.
Visionen und Lehren
Hildegard von Bingen vertraute auf ihre Visionen und lebte ein glaubensbestimmtes Leben. Da sie sich in der Öffentlichkeit als selbstbewusst und dem Menschen zugewandt zeigte, nahmen viele Zuhörer und Leser ihre Aussagen bereitwillig auf. So entwickelte sich Hildegard von Bingen im Laufe ihres Daseins zu einer wegweisenden und helfenden Persönlichkeit, die Menschen bei deren Lebensgestaltung im Hinblick auf den Glauben und die Gesundheit an die Hand nahm. Dass sich Hildegard dabei stets auf ihre Visionen stützte, ermöglichte ihr Wirken. Schließlich wurde es Frauen zu frühen Zeiten nicht zugetraut, eigenständig theologisches Wissen auszubilden.
Hauptwegweiser, die laut Hildegard von Bingen Produkte ihrer Visionen waren, sind die drei theologischen Schriften. In „Liber Scivias Domini“ beschrieb sie die Verbindung zwischen dem menschlichen Dasein, der Welt und dem Bild Gottes. Dieses dreiteilige Werk basierte auf insgesamt 26 Visionen. „Liber Vitae meritorum“ war ein ethisches Werk, in dem Hildegard von Bingen jeweils 35 Tugenden und Laster im Zwiegespräch darstellt. Hier trafen unter anderem „Zorn und Geduld“, „Friede und Streit“ und „Weltschmerz und Himmlische Freude“ aufeinander. Im dritten Hauptwerk „Liber divinorum operum“beschrieb Hildegard von Bingen ihre eigenen kosmologischen Überzeugungen. Dieses Werk sollte aufzeigen, dass Leib und Seele, Gnade und Natur sowie Kirche und Welt der Verantwortung des Menschen unterstehen.
Medizinische Ausblicke
Für den gläubigen Menschen besitzen die theologischen Schriften der Hildegard von Bingen bis heute eine besondere Wichtigkeit. Breit gefächertes Interesse erwecken jedoch auch die Schriften „Physica“ und „Causae et Curae“, in denen die Benediktinerin sich mit medizinischen Themenbereichen befasste. Über die Jahrhunderte hinweg wurden diese Schriften weiter fortgeführt und überliefert, bis sich die „Hildegard Medizin“ zum Trendbegriff der Siebzigerjahre entwickelte.
„Causae et Curae“ und „Physica“ entspringen aller Vermutung nach dem umfangreichen Werk „Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum“. In beiden Werken zeigten sich die Bemühungen Hildegard von Bingens, althergebrachtes medizinisches Wissen aus dem Griechischen und Lateinischen mit der Volksmedizin zu vereinen. In „Causae et Curae“ beschrieb sie die Heilkraft verschiedenster Dinge wie Pflanzen, Edelsteine und auch Tiere. Noch weiter in die Tiefe gingen die Schriften „Liber compositae medicinae“ und „Liber simplicis medicinae“. Hier finden sich insgesamt 280 Gewächse, denen Hildegard von Bingen eine besondere medizinische Funktion zuwies.
Bei allen medizinischen und heilkundlichen Werken Hildegard von Bingens blieb auch der Glaube ein entscheidendes Detail. Die Benediktinerin war der Überzeugung, dass der Mensch nur dann gesund sein kann, wenn er sich durch seinen Glauben zu einer guten und verantwortungsbewussten Lebensweise leiten lässt. Diese Annahme ist das wohl wichtigste Merkmal der Schriften, da sich die eher konservative Kloster-Heilkunde nur selten auf den Einheits- und Glaubensgedanken stützte.
Die 24 Heilsteine
Bei ihren Untersuchungs- und Forschungsarbeiten stieß Hildegard von Bingen immer wieder auf heilende Kräfte natürlicher Materialien. So war auch sie es, die sich detailliert mit Heilsteinen beschäftigte und ganzen 24 von ihnen eine besondere Bedeutung nachsagte. Sogar die Steinheilkunde von heute fußt teilweise auf die Überzeugungen Hildegard von Bingens. Dabei spielt die Überzeugung, dass die menschliche Seele über besondere Kräfte verfügen soll, eine wichtige Rolle. Hildegard von Bingen war überzeugt, dass Heilsteine durch ihre eigene Energie auch die der menschlichen Seele beeinflussen und aktivieren können.
Im Zuge dessen entwickelte Hildegard von Bingen auch das „Goldtopas Gebet“, das der Mensch mit einem solchen Stein auf dem Herzen jeden Morgen sprechen sollte. Der Wortlaut dieses Gebetes sollte den Menschen tagsüber unter einen göttlichen Schutz stellen:
„Herr, der Du über allem und in allem verherrlicht wirst,
in Deiner großen Güte verwerfe mich nicht,
sondern erhalte, stärke und gründe mich auf Deinem Segen.“
Doch nicht nur für dieses Gebet ist Hildegard von Bingen bis heute bekannt. Ihr Heilstein Lexikon beschrieb insgesamt 24 Heilsteine, unter anderem Amethyst, Achat, Beryll, Diamant und Calcit. So sollte beispielsweise der Amethyst gegen Schwellungen nach Insektenstichen helfen, während dem Diamanten eine lindernde Wirkung auf Jähzorn und Hartherzigkeit nachgesagt wurde. Gegen Magenschmerzen empfahl Hildegard von Bingen den Bernstein, bei Fieber Prasem und bei Augenleiden Saphir.
Allen von ihr beschriebenen Steinen fügte Hildegard von Bingen außerdem Hinweise zur Anwendung bei. Die Steine sollten teilweise gelutscht, über die Haut gerieben, oder auch als Edelsteinwasser getrunken werden. Heute sind die Erkenntnisse rund um die Steinheilkunde weiter fortgeschritten, weswegen manche Ratschläge Hildegard von Bingens nicht mehr empfohlen werden. Da es durchaus giftige und schädliche Steinvarianten gibt, sollten Interessierte sich vor der Anwendung eines Heilsteines genau informieren. Dennoch waren die Erkenntnisse der Hildegard von Bingen wichtige Wegweiser hin zur modernen Steinheilkunde, wie es sie heute gibt.
Abschließend sei erwähnt, dass die Wirkung aller Heilsteine lediglich auf Beobachtungen und alten Überlieferungen basieren. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise und medizinischen Forschungsergebnisse, die den tatsächlichen Nutzen der Edelsteine belegen. Menschen mit körperlichen oder seelischen Beschwerden sollten daher von Eigendiagnosen und einer unbedachten Selbstbehandlung Abstand nehmen. Grundsätzlich sollte die Verwendung von Heilsteinen nicht ohne fundierte Beratung erfolgen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden. Auch sollten die Überlieferungen Hildegard von Bingens und Heilsteinanwendungen nicht als Ersatz für Arztbesuche dienen. Eine Haftung für den fehlerhaften und unbedachten Einsatz von Heilsteinen wird daher nicht übernommen.